Wieder half die Gottesmutter

Das unbekannte Papst-Attentat

Nur um Haaresbreite überlebte Johannes Paul II. (1978 bis 2005) den Anschlag des Türken Mehmet Ali Ağca am 13. Mai 1981 auf dem Petersplatz. Das Attentat ereignete sich am Gedenktag der Marien­erscheinung in Fátima. Ein Jahr später hielt die Gottesmutter offenbar ein weiteres Mal ihre schützende Hand über den Heiligen Vater.

Fast auf den Tag genau zwölf Monate nach dem Ağca-Attentat pilgert Johannes Paul II. nach Fátima, um der Muttergottes für ihren Schutz zu danken. Während einer Lichterprozession und in Anwesenheit hunderttausender Pilger durchbricht ein Mann in schwarzem Priestergewand die Sicherheitslinie und versucht, auf den Stufen der Basilika mit einem Bajonett auf den Heiligen Vater einzustechen. 

Sofort sind an jenem 12. Mai 1982 die Leibwächter des Papstes zur Stelle und ringen den Attentäter zu Boden. Scheinbar unversehrt setzt der Pontifex die Messe fort. Sicherheitsbeamte führen den Attentäter ab: Juan María Fernández y Krohn, einen Anhänger der Priesterbruderschaft St. Pius des suspendierten Erzbischofs Marcel Lefebvre, der sich wegen seiner Ablehnung des Zweiten Vatikanischen Konzils von Rom abgewandt hat und 1988 exkommuniziert wurde.

„Kein Kommentar“

Über seine Tat möchte der heute in Brüssel lebende Papstattentäter Krohn nicht sprechen. „Kein einziger Kommentar mehr zu dem, was an diesem Tag geschah“, sagt er unserer Zeitung. Über alles andere sei er aber bereit zu reden. Über sein Leben zum Beispiel, das am 24. Juli 1949 in Madrid begann. Er wuchs in einer katholischen Familie mit fünf Kindern auf, studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften.

1974 schloss er sich in Ecône im Schweizer Kanton Wallis der Pius­bruderschaft an. 1978 wurde er von Lefebvre zum Priester geweiht. Mehr noch als sein geistiger Ziehvater Lefebvre entwickelte sich Krohn zu einem Verächter des Zweiten Vatikanums. In Papst Johannes Paul II. erkannte er dagegen einen klaren Befürworter des Konzils. 

Für Krohn, der Lefebvre auch heute noch verteidigt und dessen Exkommunikation als „unfair und schismatisch“ bezeichnet, galt der polnische Papst als modernistisch – und der Stuhl Petri seit dem Konzil als unbesetzt. Während seines Gerichtsprozesses sagte Krohn später sogar aus, er halte Karol Wojtyła für einen kommunistischen Agenten, der eingeschleust wurde, um den Vatikan zu korrumpieren.

Der psychologische Auslöser für das Attentat sei für ihn die Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar El Sadat ein halbes Jahr zuvor gewesen, sagte Krohn 2020 einer spanischen Zeitung. „Ist ein Angriff so einfach?“, habe sich Krohn gefragt, als er die Bilder des Attentats am 5. Oktober 1981 im Fernsehen sah. 

Am 12. Mai 1982 erreicht Krohn den portugiesischen Wallfahrtsort mit dem Zug aus Paris. Er trägt eine Aktentasche, in der er ein rund 40 Zentimeter langes Bajonett aus dem Ersten Weltkrieg aufbewahrt. Es ist die Waffe, mit der er seine Tat begehen wird. Stundenlang wandert der 32-Jährige entlang der Esplanade, die der Papst überqueren muss, und sucht sich den passenden Ort, um den Pontifex anzugreifen.

"Nieder mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil"

Während der Messe am Abend und in einem Meer flackernder Lichter kniet Johannes Paul II. zu Füßen der Madonna von Fátima. Ihr bringt er das Projektil des Ağca-Attentats vom Jahr zuvor, um es in die Krone der Muttergottes einarbeiten zu lassen. Als sich der Heilige Vater und sein Gefolge von der Erscheinungskapelle zur Basilika bewegen, findet der in eine schwarze Soutane gekleidete Krohn die Lücke, nach der er sucht. 

„Tod dem Kommunismus! Nieder mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil!“, ruft Krohn, als er sich auf Johannes Paul II. stürzt, um ihn niederzustechen. Leibwächter Camillo Cibin verhindert durch sein beherztes Eingreifen, dass der Papst ernsthaft verletzt wird. Für seine Tat wird Krohn wegen versuchten Mordes zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt, von denen er drei verbüßt. 

„Es waren für mich traumatische Erfahrungen, die ich aber, glaube ich, überwunden habe“, beschreibt Krohn seine Haft in Lissabon. „Ich glaube, ich bin ich selbst geblieben.“ Der Anschlag auf den Papst sollte für ihn nicht die einzige Straftat bleiben: Im Jahr 2000 wird er wegen Attacken auf Belgiens König Albert und den spanischen Monarchen Juan Carlos erneut verurteilt. 

„Ein gewisses Mitgefühl“

Am 2. April 2005 stirbt Papst Johannes Paul II. nach langem Leidensweg. „Aufgrund der schmerzhaften Umstände seines Todes empfand ich ein gewisses Mitgefühl für ihn“, erinnert sich Juan Fernández y Krohn. Drei Jahre später lüftet der langjährige Privatsekretär des Papstes, Kardinal Stanislaw Dziwicz, ein Geheimnis rund um das Attentat von 1982: „Ich kann jetzt preisgeben, dass der Heilige Vater verwundet wurde. Als wir in den Raum zurückkamen, war da Blut.“

40 Jahre liegt der Mordversuch an diesem 12. Mai nun zurück. „Für mich ist es ein ganz normaler Tag – wie alle bisherigen Jahrestage: kein Tag der Trauer und auch kein Tag zum Feiern“, sagt Krohn. „Normalerweise würde ich wie jeden Tag in die Bibliothek gehen, wenn nichts Unvorhergesehenes passiert.“

Markus Vögele